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Mit reichlich Regen und unwürdigen Temperaturen entlang der Ostseite des Schwarzwaldes von Basel nach Heidelberg; Kleinod Nagoldtal
Gesamtstrecke: 393 Kilometer
Fahrradkarten:
bikeline Rhein-Radweg Teil 1,, 1:75.000
ADFC Radtourenkarte, Schwarzwald/Oberrhein, BVA, 1:150.000
ADFC Radtourenkarte, Rhein/Neckar, BVA, 1:150.000
1. Tag | Mittwoch, 16. Juni |
Strecke | Münster – Basel – Rheinfelden – Bad Säckingen – Laufenburg – Waldshut -Tiengen |
Wetter | bis Bad Säckingen Dauerregen; danach weitgehend trocken |
Entfernung | 68 km |
Übernachtung | Gasthof zum Lauffen, Homburg 1, 79761 Waldshut-Tiengen, Tel.: 0 77 41 – 61 58 8, 210 Euro |
Wir starten schon um sieben Uhr am Morgen mit dem Intercity nach Basel. Sechseinhalb Stunden später sind wir da. Zehn Minuten vor der Ankunft beginnt es zu regnen, und hört für die nächsten Stunden nicht mehr auf. Kalt ist es auch geworden. Wir starten im kurzen Regenzeug bei kaum mehr als 15 Grad. Es dauert einige Zeit, bis wir den Großraum Basel mit seinen häufig sehr verkehrsnahen Radwegen verlassen haben. Danach aber geht es auf Traumwegen entlang des Oberrheins gen Osten bis zur Großen Kreisstadt Rheinfelden.
Große Kreisstadt ist ein Begriff aus dem deutschen Kommunalrecht. In einigen Bundesländern erhalten größere kreisangehörige Städte, die zusätzliche Aufgaben übernehmen sollen oder wollen, eine Art Sonderstatus, der oftmals mit einem besonderen Titel verbunden ist.
Gegenüber liegt auf Schweizer Seite die gleichnamige Stadt Rheinfelden (AG). Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts existierte Rhein überschreitend nur das zur Schweiz gehörende Rheinfelden. Bekannt wurde Rheinfelden durch sein altes Kraftwerk (erbaut 1898), das einmal das größte europäische Wasserkraftwerk war. Es wird trotz vieler Proteste noch in diesem Jahr abgerissen, nachdem es einem Neubau mit vierfacher Leistung Platz gemacht hat. Das Kraftwerk war und ist Grundlage gewesen für die Ansiedlung vieler energieintensiver Betriebe. Eine traurige Berühmtheit erhielt die Stadt durch enorme Dioxinablagerungen, die durch Industrieabfälle hervorgerufen wurden.
In Bad Säckingen trauen wir uns, tropfnass wie wir sind, ins Münstercafe auf eine Pause. Namensgeber ist weniger unsere Heimatstadt als vielmehr die benachbarte Stadtkirche, das Fridolinsmünster.
Bad Säckingen ist ein kleines Kurstädtchen mit einer kleinen aber feinen Altstadt unmittelbar am Rhein. Die längste gedeckte Holzbrücke Europas verbindet die Stadt mit der Schweizer Seite. Der Grenzverlauf ist auf der Brückenmitte im Brückenboden markiert.
Säckingen ist durch das Erstlingswerk von Joseph Victor von Scheffel (Der Trompeter von Säckingen, erschienen 1854) weltberühmt geworden. Dieses Werk war in den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland sehr populär, beschreibt es doch die Dramatik der Liebesbeziehung des bürgerlichen Trompeters mit einer adligen Tochter. Victor Ernst Nessler komponierte die gleichnamige Oper, die 1884 in Leipzig uraufgeführt wurde. Seither führt Säckingen auch den Beinamen „Trompeterstadt“.
Die Kaffeepause wärmt und trocknet. Bei der Weiterfahrt hat sich der Regen weitgehend verzogen. Wir fahren jetzt weiter am Rhein entlang. Zur Linken ist Hotzenwald-Gebiet. So wird die südlichste Schwarzwald-Region zwischen Wehra und Schlücht genannt. Der Hotzenwald gehört zu den niederschlagreichsten Gebieten des Schwarzwaldes.
Schon bald erreichen wir das malerische Laufenburg. Eigentlich sind das zwei Städtchen, die Kernstadt auf deutscher Seite und das auf Schweizer Seite gelegene im Jahre 1801 abgetrennte Laufenburg AG (Kanton Aargau). Die Laufenbrücke mit der obligatorischen Nepomuk-Statue verbindet die Orte.
Kurz vor Waldshut passieren wir das Kernkraftwerk Leibstadt, kurz KKL. Es befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Leibstadt (Kanton Aargau, Schweiz) am Rhein nahe der Aare-Mündung und ist das bislang letzte in der Schweiz gebaute Kernkraftwerk.Technisch ist das ein Siedewasserreaktor mit 1.220 MW Leistung.
Hier ereilt Felix die erste Reifenpanne. Es soll nicht die letzte bleiben.
Hinter Waldshut mündet die Wutach in den Rhein, den wir hier verlassen um jetzt nordwärts das Wutachtal hoch zu fahren. Die letzten Kilometer nach Tiengen bis zu unserem vorgebuchten Hotel sind mit einigen Orientierungspausen verbunden. Es ist bald 19:00 Uhr, als wir den Gasthof Laufen erreichen. Eine anständige Küche lässt den langen Fahrtag vergessen
2. Tag | Donnerstag, 17. Juni |
Strecke | Tiengen – Wutöschingen – Eggingen – Stühlingen – Blumberg – Hüfingen – Donaueschingen |
Wetter | kühl und bewölkt, morgens und am Abend Regen |
Entfernung | 67 km |
Übernachtung | Hotel Ochsen, Käferstraße 18, 78166 Donaueschingen, Tel.: 07 72 – 80 99 0, 260 Euro |
Am Morgen starten wir bei Nieselwetter. Frau Wirtin hat uns den Weg gewiesen, wie wir übers „Bückle“ am elegantesten auf den Radweg durchs Wutachtal finden. Wir fahren durch Bauernland mit dem Hotzenwald im Westen und dem Klettgau im Osten. Wir durchfahren Wutöschingen und Eggingen, Orte die man sich nicht zu merken braucht. Ab Eggingen verläuft plötzlich wieder die Schweizer Grenze sehr nah entlang der Wutach.
Der Fluss wechselt zweimal den Namen, ehe er in den Rhein mündet. Er entspringt im Südschwarzwald als Seebach nur wenige Meter unterhalb des 1.448 m hohen Seebuck am Feldberg. Ab Titisee heißt der inzwischen träge fließende Wiesenbach Gutach („gute Ach“). Mit der Einmündung der Haslach, die aus Westen von Lenzkirch heranfließt, nennt man den Fluss passender weise Wutach („wütende Ach“).
Zeit für unsere erste Pause haben wir in Stühlingen an der Hauptstraße im Eiscafe und das bei Sonnenschein. Vor Blumberg verlassen wir das Wutachtal. Die letzten zweieinhalb Kilometer bis Blumberg werden die anspruchsvollsten Kilometer unserer gesamten Tour. Durchgängig 15 Prozent Steigung fordern die letzen Reserven. Für einige ist Schieben angesagt. Oben angekommen ist die nächste Rast bitter nötig.
Blumberg liegt an der Route der Wutachtalbahn, eine der außergewöhnlichsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Sie verbindet Waldshut am Hochrhein mit der an der Schwarzwald- und Donautalbahn liegenden Gemeinde Immendingen und führt durch den Naturpark Südschwarzwald. Wegen ihres kurvenreichen Verlaufes und speziell wegen des Kreiskehrtunnels in der Stockhalde heißt sie auch Sauschwänzlebahn
Wir halten jetzt die Höhe und sind nach einer Stunde im Örtchen Fürstenberg.
Von hier haben wir einen grandiosen Talblick auf die Baar, eine zwischen 600 und 900 Meter hohe Hochebene. Begrenzt wird sie durch die südöstlichen Ausläufer des Schwarzwaldes im Westen und den Großer Heuberg genannten südwestlichen Teil der Schwäbischen Alb im Osten. Im Süden grenzt die Baar an den Randen.
Der Ort Fürstenberg ist heute ein Stadtteil von Hüfingen. Er liegt am Fuße des über 900 Meter hohen Fürstenberg. Die Bergkuppe war seit keltischer Zeit bewohnt. Um 1250 baute Heinrich I. sie zur befestigten Stadt aus. Durch einen Großbrand 1841 wurde die Siedlung so gründlich zerstört, dass ein Wiederaufbau nicht möglich war; daher die Neuansiedlung nun am Fuße des Berges.
Vor unserem heutigen Etappenziel Donaueschingen machen wir noch einen kleinen Abstecher hinein nach Hüfingen. Das Städtchen soll einen netten Ortskern haben, den wir nicht so recht finden. Immerhin ist eine angenehme Kaffeerast angesagt.
Entlang der Breg ist es nicht mehr weit bis Donaueschingen.
Hier fließt die Breg nach 50 selbstständigen Kilometern mit der Brigach zusammen und bildet dort den Beginn der Donau (Merkspruch: Brigach und Breg bringen die Donau zuweg). Da aber die Breg der wasserreichste und auch der längste Quellfluss der Donau ist, ist deren Quelle geographisch als Donauursprung (Donauquelle) zu betrachten.
Donaueschingen ist eine Enttäuschung. Wir haben die Wahl zwischen zwei Hotels und entscheiden uns für den Ochsen. Leider bleibt es den Abend über sehr regnerisch. So beschränkt sich die Stadtbesichtigung vornehmlich auf die „Donauquelle„.
Im Schlosspark von Donaueschingen befindet sich die offizielle Quelle der Donau, da hier aus einer Karstquelle zwischen 50 und 150 Liter Wasser in der Sekunde aus dem Boden sprudeln. Wegen dieser großen Wassermenge wurde der Ort bereits 1538 erstmals als Quelle der Donau erwähnt. Doch wer sich hier ein genaueres Bild macht, kommt schnell zu der Überzeugung, dass da aus hydrologischer Sicht etwas nicht stimmen kann. Fließt doch der Quellbach unterirdisch bereits nach wenigen Metern, unterhalb eines kleinen Tempels, in die viel größere Brigach, die dann wiederum nach zirka 1,5 Kilometern mit der Breg zusammenfließt. Deshalb wird in vielen Quellen auch erst der Zusammenfluss dieser beiden Flüsse als der Beginn der Donau angesehen. Die Donau entsteht also tatsächlich aus mehreren Quellen, unter denen insbesondere die Quelle der Breg bei Furtwangen als eigentlicher Ursprung der Donau angesehen werden kann.
Wie dem auch sei, die Quelle des Donaubachs im Schlosspark von Donaueschingen ist mit Sicherheit die schönste. Sie wurde bereits in früher Zeit eingefasst und 1895 mit einer Figurengruppe ausgeschmückt, in der „Mutter Baar“ gezeigt wird, die ihrer Tochter, der jungen Donau, den Weg zeigt.
Für Peter wird der Abend richtig stressig. Sein Fahrrad ist so immobil, dass er sich zum Austausch des kompletten Hinterrades einschließlich Schaltung entschließt. Er findet eine Werkstatt, die die Reparatur auch am späten Abend noch ausführt. Ein teurer Tag für ihn.
Wir beginnen das Abendprogramm mit gutem Essen und lernen dabei als Digestif den Zibärtle kennen. Zibärtle werden in Baden die Früchte einer Wildpflaumenart und die daraus hergestellten Obstbrände genannt. Die Zibarte ist ein kleiner dornenbewehrter Baum, an dem diese Wildpflaumen wachsen.
Für den restlichen Abend finden wir ein nettes Weinlokal, das auch noch Fernsehen ermöglicht. Wir erleben Frankreichs Niederlage gegen Mexiko (0:2). Der Wirt des Lokals klärt uns auf, dass die Bewohner der Baar großen Wert darauf legen, keine Schwarzwälder zu sein sondern ihre Eigenständigkeit betonen.
3. Tag | Freitag, 18. Juni |
Strecke | Donaueschingen – Schwenningen – Rottweil – Irslingen – Empfingen – Horb – Dettingen |
Wetter | morgens Regen, zum Nachmittag immer sonniger und wärmer |
Entfernung | 91 km |
Übernachtung | Gasthof Adler, Alte Straße 3, 72160 Horb-Dettingen, Tel.: 07482 – 230, 185 Euro |
Der Morgen beginnt wieder sehr regnerisch. Und so unentschlossen sind einige. Regenzeug an, Regenzeug aus. Wir kommen nur sehr zögerlich voran. Von Villingen-Schwenningen streifen wir nur Schwenningen. Sehr viel attraktiver soll Villingen mit seiner malerischen Altstadt sein. Sie liegt leider nicht auf unserem Weg.
Zwischen den beiden Teilstädten verläuft die Europäische Wasserscheide und die ehemalige Grenze zwischen Württemberg und Baden. Auch der Neckar stammt hierher. Sein Quellgebiet liegt im Schwenninger Moos zwischen Schwenningen und Bad Dürrheim. Die traditionell ausgewiesene Quelle des Flusses liegt im Stadtpark Möglingshöhe in Schwenningen.
Gegen zwölf Uhr erreichen wir die Große Kreisstadt Rottweil. Sie ist die älteste Stadt Baden-Württembergs und wurde von den Römern bereits im Jahre 73 gegründet. Der mittelalterliche Stadtkern von Rottweil ist besonders gepflegt. In der Umgebung gibt es in dieser Größenordnung keine weitere Stadt mit einem vergleichbar erhaltenen Stadtbild. Leider ist die Innenstadt eine einzige Baustelle und Scharen von lärmenden Fußballfans sind unterwegs zum Public Viewing des Deutschlandspiels am Nachmittag.
Der Name Rottweil ist Namensgeber der Hunderasse Rottweiler, der in der Region rund um die Stadt als Metzgerhund diente. Da in Rottweil jedoch auch ehemals ein großer Viehmarkt war und der „Rottweiler“ auch als Vieh-Hirtenhund Verwendung fand, wird auch vermutet, dass er daher seinen Namen erhielt. Der Name „Rottweiler“ wurde wohl zuerst außerhalb der Stadt verwendet. Dies lag daran, dass diese Hunderasse die typische Begleitung der Viehherden aus Rottweil war.
Unsere Fußballbegeisterten werden langsam unruhig und drängen zum Aufbruch. Eine hektische Suche nach einem Fernsehgerät beginnt. Im kleinen Örtchen Irslingen finden wird einen Gasthof. Der hat aber keinen Fernseher. Es kommt Panik auf. Immerhin gibt uns der Wirt den Tipp, es im Sportlerheim des SV Irslingen zu versuchen. Und da sitzt die Dorfjugend komplett versammelt vor einer großen Glotze. Es gibt zwar einige irritierte Blicke aber wir sind trotzdem willkommen. Alles passt. Es gibt Bier und Bratwürste. Nur die Nationalmannschaft spielt nicht mit und verliert doch tatsächlich gegen Serbien ( 0:1).
Mittlerweile hat sich das Wetter merklich gebessert. Bei Sonnenschein darf Felix nach dem Spiel sein Rad erneut flicken. Wir fahren schon seit Schwenningen immer oberhalb des Neckartals. Hinter Empfingen geht es dann in einer rasanten Fahrt hinab ins Tal. Ziel ist dass mittelalterliche Städtchen Horb. Und das Mittelalter holt uns auch tatsächlich ein. Die ganze Stadt ist angefüllt mit Tausenden von Mittelalterfans, die die Maximilian Ritterspiele erleben wollen. Natürlich gibt es kein einziges Gastbett mehr im Ort. Wir müssen etwa fünf Kilometer den Neckar aufwärts nach Dettingen (zurück)fahren. Der Gasthof Adler hat dort noch Zimmer für uns. Den Abend verbringen wir geruhsam im Gasthof. Weder das Wetter noch Dettingen laden zu Erkundungen ein.
4. Tag | Samstag, 19. Juni |
Strecke | Dettingen – Horb – Nagold – Calw – Bad Liebenzell – Pforzheim – Bretten |
Wetter | morgens sehr kalt (10 Grad) und Regen, zum Nachmittag Wetterberuhigung |
Entfernung | 101 km |
Übernachtung | Gasthaus zum Hirsch, Melanchthon Straße 68, 75015 Bretten, Tel.: 07252 – 39870, 182 Euro |
Dieser Morgen beginnt nicht so gut. In Horb gibt es reichlich „mittelalterliche“ gläserne Hinterlassenschaften auf dem Radweg. Für Karl-Heinz hat das ein kleines Loch im Hinterrad zur Folge. Das heißt Schlauchtausch. Nur mit Christians großer fahrradtechnischer Erfahrung gelingt der Ausbau des Hinterrades und der anschließende Zusammenbau mit allen vorhandenen Teilen. Die Aktion dauert fast 45 Minuten. Und das bei Nieselregen an einer viel befahrenen Straße unter dem Spardach einer Bushaltestelle. Nicht zu vergessen die Außentemperatur. Es sind gemessene 9,8 Grad heute morgen.
Trotzdem wird uns anschließend warm. Wir verlassen das Neckartal wieder in nördlicher Richtung hinauf in das Obere Gäu, einer Hochebene zwischen den Flüssen Neckar, Nagold und Enz im Norden.
Wir sind froh, uns in Nagold im Hotel zur Post mit seinem imposanten Wirtshausschild aufwärmen und ein wenig trocknen zu können. In diesem Jahr fahren übrigens Felix, Günter und Karl-Heinz erstmalig mit Helm. Dem Rest zur Anspornung zeigt Felix mit Stolz die haardesignerischen Fähigkeiten seiner schützenden Kopfbedeckung.
Sehenswert in Nagold sind großartige Fachwerkhäuser aus dem 15. – 18. Jahrhundert; die heutige Friedhofskirche St. Remigius, die auf dem Areal einer römischen villa rustica errichtet wurde, mit Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert und die Ruine Hohen-Nagold über der Stadt.
In Nagold haben wir das Nagoldtal erreicht, dem wir jetzt fünfzig Kilometer lang bis Pforzheim folgen werden, Der Fluss macht hier beinahe eine Kehrtwende. Aus südöstlicher Richtung kommend fließt er jetzt in nördliche Richtung weiter, bis er in Pforzheim in die kleinere Enz mündet. Wir stellen uns das Tal bei schönem Wetter vor: sehr naturnah, weitab jeglicher Hektik, radeln auf schönen oft unbefestigten Wegen. Jetzt sind diese schönen Wege sehr nass und sie sauen uns und unser Material ordentlich zu.
In Calw trauen wir uns auf dem Marktplatz auf ein Getränk unterm Sonnenschirm. Immerhin hat es aufgehört zu regnen. Calw verfügt über eine kleine, aber sehenswerte Altstadt, die vom letzten Krieg weitgehend verschont blieb. Über 200 Gebäude sind geschützte Häuser des späten 17. Jahrhunderts. Calw ist die Geburtsstadt von Hermann Hesse. Der schrieb über seine Vaterstadt: Zwischen Bremen und Neapel, zwischen Wien und Singapore habe ich manche hübsche Stadt gesehen, Städte am Meer und Städte hoch auf Bergen, und aus manchem Brunnen habe ich als Pilger einen Trunk getan, aus dem mir später das süße Gift des Heimwehs wurde. Die schönste Stadt von allen aber, die ich kenne, ist Calw an der Nagold, ein kleines, altes, schwäbisches Schwarzwaldstädtchen. Ein wenig übertrieben klingt das schon.
Über Bad Liebenzell erreichen gegen 16 Uhr Pforzheim. Vorher hätte es fast einen bösen Unfall gegeben. Beim Kolonnenfahren verliert Jürgen als Führender seine Mütze. Karls Hilfsbereitschaft verleitet ihn ohne Vorwarnung zu einer Vollbremsung. Christian unmittelbar hinter ihn kann nicht ausweichen, fährt auf und stürzt. Zum Glück bleiben Mensch und Material unverletzt. Merke: Karl als Vorfahrer = Abstand halten!
Pforzheim ist ein diese gesichtslosen Städte, die das Pech starker Zerstörung im 2. Weltkrieg hatten.
Im Februar 1945 wurde Pforzheim bei einem Angriff britischer Bomber fast völlig zerstört. Innerhalb von nur 20 Minuten fanden bis zu 17.600 Menschen den Tod. Die Bomber und der Feuersturm, der sich in der engbebauten Altstadt entwickelte, töteten damit fast ein Drittel der Bevölkerung der Stadt. Nach Hamburg und Dresden war dies der Angriff mit den meisten Opfern. 98 % des Stadtgebiets lagen in Trümmern.
Nach kurzer Pause drängt es uns weiter. Wir haben noch einige Kilometer bis Bretten vor uns.
Pforzheim zu verlassen, bedeutet Anstieg. Es geht ordentlich bergauf, bis wir nördlich der Stadt den Kraichgau – auch „Badische Toskana“ genannt – erreicht haben, eine Hügellandschaft zwischen Odenwald, Rheinebene und Schwarzwald. Das Wetter bleibt stabil trocken.
In Bretten angekommen, haben wir heute unsere 100 Kilometer voll gemacht. Für die Nacht haben wir uns eine kleine Brauerei Michaeli Bräu mit angeschlossenem Gasthof ausgesucht. Natürlich probieren wir alle die fantasievoll präsentierten Biersorten. Wir sind uns einig, dass die nicht ganz unseren Geschmack treffen. Sie sind einfach zu lieblich. Eine deftige Küche mit Michaeli Schnitzel und Braumeisterplatte lässt uns hingegen ordentlich satt werden.
Beim Verdauungsspaziergang geraten wir auf der Brettener Einkaufsmeile in einen verkaufsoffenen Samstagabend mit brasilianischen Tänzerinnen, Bierständen und drangvoller Enge.
Berühmtester Sohn der Stadt ist Phillip Melanchthon. Er wurde am 16. Februar 1497 in Bretten als Philipp Schwarzerdt geboren (Melan-chthon ist griechisch und bedeutet ‚Schwarze Erde‘). Er starb am 19. April 1560 in Wittenberg.
Philipp Schwarzerdt war Reformator, Humanist und engster Mitarbeiter Martin Luthers. Nach seinem Studium in Heidelberg und Tübingen wurde er 1518 nach Wittenberg auf den Griechisch-Lehrstuhl berufen. An der deutschen Bibelübersetzung war Melanchthon als Kenner des Griechischen maßgeblich beteiligt. Aus seiner Feder stammen wichtige Basisschriften der Reformation: die »Loci communes« (1521), die erste, höchst einflussreiche Dogmatik der evangelischen Kirche, und das »Augsburgische Glaubensbekenntnis«. Wegen seiner zahlreichen theologischen und pädagogischen Schriften hat er sich schon bei den Zeitgenossen den Ehrentitel »Praeceptor Germaniae« (Lehrer Deutschlands) erworben.
5. Tag | Sonntag, 20. Juni |
Strecke | Bretten – Bruchsal – Kronau – St. Leon-Rot – Reilingen – Heidelberg |
Wetter | schönster Tag, reichlich Sonne |
Entfernung | 66 km |
Heute ist es von Beginn an sonnig und warm. Ein wenig lässt das die Kälte und Nässe der letzten Tage vergessen. Wir verlassen Bretten und fahren nordwestlich dem Rheintal entgegen. Das erreichen wir bei Bruchsal. Bekanntestes Bauwerk ist das barocke Schloss Bruchsal.
Die Weiterfahrt durch die Rheinebene verläuft ohne weitere Höhepunkte, wenn man einmal von Reilingen und seiner Eisdiele absieht, in der Jürgen endlich sein erstes Bananensplitt bekommt. Gegenüber ist eine kleine aber feine Obstbrennerei, in der es hervorragende prämierte Brände gibt.
Heidelberg am Sonntag heißt eine volle Altstadt mit Touristen aus aller Welt. Es bleiben uns zwei Stunden, die Stadt ein wenig zu erkunden, bevor uns dei Deutsche Bahn ohne große Pannen nach Münster bringt.